Ethereum (ETH) wird zunehmend als das digitale Pendant zu einer Reservewährung angesehen. Laut einem neuen Bericht des Analyseunternehmens Artemis ist die Kryptowährung auf dem besten Weg, für die Kryptoindustrie das zu werden, was Gold oder der Dollar für die Weltwirtschaft sind. Und das nicht wegen der traditionellen Einnahmen oder Gebühren, sondern wegen seiner Rolle als Grundlage für das wachsende On-Chain-Finanzsystem.

Ethereum als knappes, produktives digitales Kapital

Im Bericht erklärt der leitende Forscher Kevin Li, dass Ethereum falsch bewertet wird, wenn man sich nur auf Cashflows oder Transaktionskosten konzentriert. „ETH ist besser zu verstehen als eine knappe, aber produktive Reserve-Asset“, schreibt er. Der Wert von Ethereum liegt seiner Meinung nach in der Sicherung, Abwicklung und Antrieb einer zunehmend institutionalisierten On-Chain-Wirtschaft.

Li weist darauf hin, dass selbst in einem extremen Szenario, in dem alle ETH gestaket und die maximale Ausgabe erreicht wird, die Inflation bis 2025 auf 1,52 Prozent begrenzt bleibt und bis 2125 auf 0,89 Prozent sinkt. Zum Vergleich: Der US-Dollar verzeichnete seit 1998 ein jährliches M2-Wachstum von 6,36 Prozent. Dank des Verbrennungsmechanismus von Ethereum, Update EIP-1559, liegt die Nettoinflation von ETH bereits bei nahezu Null, was der Währung ein Inflationsprofil verleiht, das mit Gold vergleichbar ist, jedoch mit der Flexibilität von Software.

Was ist EIP-1559?

EIP-1559 ist ein wichtiges Upgrade von Ethereum, das das System für Transaktionskosten (Gasgebühren) transparenter und effizienter macht. Anstelle eines unvorhersehbaren Auktionssystems, bei dem Benutzer raten müssen, wie viel sie zahlen müssen, um ihre Transaktion schnell verarbeiten zu lassen, führt EIP-1559 eine Basisgebühr (base fee) ein, die automatisch verbrannt wird. Dadurch wird das Angebot von ETH strukturell reduziert.

Benutzer können zusätzlich ein kleines Trinkgeld (tip) geben, um ihre Transaktion schneller verarbeiten zu lassen. Das Ergebnis: stabilere Kosten, weniger Verschwendung und ein deflationärer Effekt auf die Menge von ETH im Umlauf.

Zunehmende institutionelle Adoption

Der Aufstieg von Ethereum als digitale Reserve-Asset kommt nicht von ungefähr. Große Namen wie JPMorgan, BlackRock und Robinhood bauen mittlerweile Produkte, die Ethereum-Rails nutzen. Man denke an tokenisierte Geldmarktfonds, Einlagetoken und Prototypen für Aktienhandel. Laut Li wird das Halten und Staken von ETH dadurch zu einer strukturellen Notwendigkeit für Finanzinstitutionen, nicht mehr eine freie Wahl.

Die On-Chain-Daten unterstützen diesen Trend. Das Gesamtvolumen an Stablecoins und tokenisierten realen Vermögenswerten auf Ethereum erreichte im Juni einen Rekord von 123 Milliarden Dollar. Gleichzeitig stieg die Zahl der gestaketen ETH auf 35,5 Millionen Token. Die Korrelation zwischen On-Chain-Assets und gestaketen ETH liegt über 88 Prozent, was auf eine wachsende Nachfrage nach Sicherheit und Abwicklung über Ethereum hinweist.

Auch die Regulierung bewegt sich mit. Ende Mai erklärte die US-SEC, dass Protokollebene-Staking und bestimmte treuhänderische Konstruktionen nicht automatisch als Wertpapiertransaktionen gelten. Diese Klarstellung öffnete die Tür für Spot-ETH ETF-Anträge mit Staking-Provisionen.

ETH als Alternative zu Bitcoin?

Interessanterweise halten immer mehr Unternehmen Ethereum als „Treasury-Asset“, ähnlich wie Strategy es 2020 mit Bitcoin tat. Laut Artemis besitzen US-amerikanische und asiatische Unternehmen mittlerweile über 730.000 ETH, was etwa 2,6 Milliarden Dollar entspricht. Dies geht einher mit einer seltenen Phase, in der Ethereum besser abschneidet als Bitcoin. Ein Muster, das zuvor von BTC-Narrativen wie der Halving und der möglichen Rolle als US-Reservewährung dominiert wurde.

Kritiker, die denken, dass Ethereum Einnahmen durch Layer-2-Netzwerke verliert, verpassen laut Li den Punkt. Indem die Ausführung auf Roll-ups übertragen wird, aber Settlement und Daten bei Ethereum bleiben, wächst der Marktanteil des Netzwerks gerade ohne Sicherheitseinbußen. Er vergleicht dies mit dem US-Zentralbanksystem: Lokale Banken verarbeiten die Transaktionen, aber das Zentralbankgeld bestimmt den letztendlichen Wert.

Obwohl Konkurrenten wie Solana mehr Transaktionen abwickeln, insbesondere für Mikrozahlungen und Memecoins, sieht Artemis den größten Markt in hochwertigen, institutionellen Anwendungen, bei denen Sicherheit entscheidend ist. „Die Nachfrage verschiebt sich von Nutzung zu Besitz“, schlussfolgert Li. „ETH wird nicht mehr nur als Treibstoff für Smart Contracts gesehen, sondern als das digitale Basisgeld der On-Chain-Wirtschaft.“

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